Geisterhaus

seltsame, kleine Dinge...

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Mädchen in Klassenraum

Eine ganz besondere Muse stellte einmal eine Aufgabe. Dies ist nicht die Erfüllung der Aufgabe, dies ist eine Idee, die aus der Idee zur Lösung der Aufgabe hervorging. Wie wenn ein Stein ins Wasser fällt. Was hier steht, ist eine der äußersten Wellen, nicht der Stein.
Im Übrigen: Titel zu finden ist bei Literatur immer schwierig, deshalb dachte ich mir, mache ich das mal so wie man es immer in Museen sieht und benenne es ganz unpoetisch nach dem was man sieht. Das ist nicht wirklich toll, wie gesagt, unpoetisch und auch nicht richtig genau, aber ich habe mal gehört, ein Titel soll verwirren, nicht ordnen.

Und ein Autor schreiben, nicht reden.


„Gut, dass sie kommen konnten, Frau Wolfgang.“
„Gerne. Sie wollten mit mir über Karos Kunstunterricht reden?“
„Ja, Frau Wolfgang. Ich möchte, dass sie sich hier diese Bilder ansehen.“
Es entstand eine kurze Stille. Karo saß am Rande des Tisches auf einem der Stühle, die mit einem grünen Punkt gekennzeichnet waren (nicht mehr für die Kleinen, aber auch nicht für die ganz großen an der Grundschule). Man ignorierte sie. Die beiden Erwachsenen beugten sich über ihre Bilder, sie konnte nicht sehen, welches davon sie betrachteten, aber sie beschlich ein Gefühl des Unrechts. Warum durfte die Lehrerin überhaupt ihre Bilder haben?
„Karo hat nun mal viel Fantasie…“
Karo mochte ihre Fantasie. Manche Erwachsenen sahen irgendein Problem damit, dass sie nicht verstand.
„Frau Wolfgang, sie behauptet vor anderen ihn gesehen zu haben.“
Das hatte sie. In einem Buch. Reicht das nicht, um ihn zu malen?
„Sie bekam zu Weihnachten Peterchens Mondfahrt. Ich denke, es hat ihr einfach sehr gefallen…“
„Die Aufgabe war es, Bilder zum bevorstehenden Sankt-Martins-Zug zu malen. Frau Wolfgang, ich befürchte, ihre Tochter glaubt wirklich, dass es nächsten Samstag auf unseren Straßen so aussehen könnte… Karo. Sag mir, was hast du hier gemalt? Was ist das weiße, da bei den Kindern.“
Die Lehrerin hielt ihr das Bild unter die Nase. Karo war sehr stolz darauf, das weiß so gut hinbekommen zu haben. Weiß war am schwersten auf blankem Papier, weil es ja kein richtiges Weiß sein konnte, ansonsten sieht man es ja nicht, statt dessen musste man eine andere Farbe nehmen, aber die so hell, dass alle an weiß dachten. Es umspielte die drei gemalten Kinder fast wie strahlen, als wären sie es, die leuchteten. So stellte sie es sich vor, wenn er da wäre.
„Mondstrahlen.“, sprach sie das faszinierende und fremde Wort aus und mit wachsendem Trotz: „Vom Mond. Der ist da.“
Ihren Finger stieß sie gegen das Papier oben in der Mitte. Die große, runde Scheibe mit einem Strahlenkranz wie bei der Sonne, aber eben in weiß statt gelb.
„Ach, Karo.“
Sie fand, sie hatte genug gesagt und schaltete auf Durchzug.
Laterne, Laterne, die Sonne und die Sterne…, begann sie im Kopf zu singen.
Am Abend zuhause nahm sie ihr Vater zur Seite. Er ging mit ihr in den Garten und zeigte auf den Himmel.
„Schatz, sieh doch, da ist kein Mond. Der Mond ist nur eine Geschichte. Die Menschen haben sich früher vorgestellt, dass es auch eine Nachtsonne gibt, weil sie Angst hatten im Dunkeln. Aber es gibt ihn in Wahrheit nicht. Und das ist doch nicht schlimm, du hast doch keine Angst im Dunkeln…“
„Was ist falsch daran, eine Geschichte zu sein?“
„Nichts, Liebling.“ Ihre Mutter strich ihr übers Haar, „Aber es gibt die echte Welt und es gibt Geschichten und du darfst beides nicht vermischen.“
Wenn ihre Mutter es sagte, war sie bereit es zu akzeptieren, ihr zuliebe. Das alles machte sie traurig, ohne dass sie verstand, woran es genau lag.

Der Sumpf 3/3

Seit der Regen im Herbst trommelte denke ich ans Tanzen. Der Sommer kommt, es wird so heiß und die Luft steht auf dem Wasser. Ich dachte, es würde wie der Winter sein, wir würden uns tief verkriechen und warten. Aber im Gegenteil es treibt selbst ihn hinaus aus seinem Wasser. Er zieht sich klamm die Bäume empor und bald schwebt sein Geist über dem Wasser, wie auch darin.
In der Nacht traue auch ich mich heraus.
Meine Gestalt scheint zu glühen. Zu schwach, die Welt zu erhellen, aber wozu sollte ich auch? Der Schein bringt Unruhe. Unruhe, wie sie nur die stillsten Seelen empfinden können. Auch er spürt es, ich weiß es. Dann beginnt leichter Regen zu fallen. Ich bin unschlüssig, aber dann lasse ich mich vom Regen in den Tanz ziehen und plötzlich war da die Erinnerung, an etwas von früher… An Wein und Fieber. Der Wind sang. Ein Sturm war auf dem Weg. Der Regen verbrannte sich seine Finger, wenn er mir zu nahe kam, aber er konnte es nicht lassen, so wie ich nicht das tanzen ließ. So trommelte er zum Gesang des Windes und dem Rauschen der Bäume und ich sprang über das Wasser in meinem glühenden, grünen Kleid. Reckte mich dem Himmel entgegen, der angetan war mit dem Wasser des Sumpfes, wie meine Ruhestätte tief unter mir. Und wie ich sprang und immer heller leuchtete, da wusste ich, dass der gleiche Junge, den ich geküsst hatte (oder auch nicht) unsere Feier beobachtete, irgendwo dort jenseits des Ufers und es nicht wagte, näher heran zu kommen, obwohl es ihn hierher zog.
Und ich wusste, was er wusste, was auch der Sumpf wusste. Dies war mein letzter Tanz. Der letzte Schritt des Weges, den ich begonnen hatte, als ich zu ihm ins Wasser trat. Von der Welt in die Heimat und schließlich zurück in die Welt. Mein kurzes, zweites Leben an der Oberfläche.
Und ich erkenne, dass ich mein Spiegelbild nicht verloren habe. Da ist es, direkt unter mir. Mein wahres Abbild.
Nein, der Sumpf spiegelt nicht die Metropolen wieder. Er ist kein Freund der Städte, der Menschenmassen. Aber wen er zu sich vordringen lässt, wer es schafft, die Schönheit in der Dunkelheit zu finden, der kann sich in ihm spiegeln, dessen Schein gibt er wieder und all die dunklen Seiten deiner selbst, die verschweigt er in Ewigkeit.
Wie es ein wahrer Freund tun sollte.

Der Sumpf 2/3

Egal wie absolut die Dunkelheit vor deinen Augen erscheint, hast du dich an sie gewöhnt, wirst du sie durchdringen.
Ich bin immer noch hier…
Ich nehme meinen Körper wahr in dieser Tiefe. Gehalten von ihm, davor bewahrt, allein im Nichts zu schweben. In seiner zärtlichen Umarmung, in seinen wunderschönen Augen, möchte ich vergehen. Schicht um Schicht meiner vergangenen Existenz wird so langsam und behutsam durch ihn abgelöst und im gleichen Maße, wie er Millimeter um Millimeter fortschreitet und sich meinem eigenen, so lange schon versteckten, dunklen Kern nähert, werde ich leichter. Was mich bedrückte, fällt von mir genauso ab, wie das Fleisch von meinem Körper, verflüchtigt sich, als wären all die schlimmen Zeiten zur schwarzen Flüssigkeit zersetzt, die dort langsam von meinem Körper wegtreibt und sich in meinem Beschützer und Hüter endgültig auflöst.
Ich stelle mir vor, dass es sich genau so anfühlen muss, selbst für den geschäftigen, ruhelosen Rhein: So ist es, seine Bestimmung zu finden. Das Meer zu erreichen. Wenn das eigene Ende ohne Angst, ohne Wut oder Enttäuschung den Einzelnen erreicht, weil er sich längst im Gegenüber erkannte und nur in eine höhere Einheit aufgeht. Gleiches, sich endlich in Gleiches auflöst.
Der Rhein hat das Meer und ich die geheimnisvollen, tröstenden Augen meines stillen Beschützers.
Mein Körper, einst prächtiger Tempel einer unbekannten Gottheit, wird zur vergessenen Ruine, ein Haufen bedeutungsloser Trümmer. Ich erkenne mich in ihnen nicht mehr, mein Spiegelbild, sogar mein Name ist weggespült. Und ich bin endlich frei.
Auf meinen wahren Kern zusammen geschrumpft bin ich so leicht. Befreit von all dem Ballast scheint die Welt hier bei mir, wie auch die Welt dort über mir so voller Schönheit, so klarer als zuvor. Ich höre dem Wind zu, wie am ersten Tag, aber erst jetzt verstehe ich, was er singt, erst jetzt will ich ihm antworten! Ich recke mich im Nebel den Bäumen entgegen und zupfe an den Blättern der Trauerweide, um sie zum Lachen zu bringen. Sie tut es dann auch wirklich. Im Herbst begrüßte ich den Heim kehrenden Regen, die Geschichten, die er zu erzählen hat sind voller Fernweh und künden vom Fliegen. Ich verziere den Winter mit Eisblumen, solang ich kann, aber letztendlich muss ich doch einschlafen, wie alles um mich her. Ich suche die Umarmung meines schweigsamen Beschützers und lausche der Stille. Im Tau des Frühlings dann, traue ich mich aufs Ufer hoch und küsse heimlich die Wange eines Jungen, der sich hier ausruht. Aber dann bin ich nicht sicher, ob ich das nicht nur träumte, während ich ihn aus dem Schilf beobachtete. Hätt ich das nur getan, als ich noch Lippen hatte.
Hätte ich getanzt, als ich noch einen Körper hatte.

Der Sumpf 1/3

Es gibt einen Sumpf, nahe genug an der Kölner Bucht, um durch das gleiche Wasser beseelt zu sein, wie der große Rhein. Jedoch fehlt ihm seine verführerische Weltgewandtheit, diese Sicherheit des Kosmopolit… doch was ihm an Weite, an ungestümer Reiselust fehlt, ersetzt er durch eine unauslotbare Tiefe und stille Beständigkeit. Man wartete vergeblich darauf, in ihm das Licht der Metropolen gespiegelt zu sehen, verzerrt, doch immer noch lebendig und schön. Er gab nur das fahle Licht des Mondes, das tote Licht der Sterne wieder. Es drang tief in ihn ein und verlor sich Nacht für Nacht in seiner dunklen Seele, ohne den Grund je zu berühren.
Nein, er bereiste nie die Welt, sein Wasser stand geradezu still, wie eine Verweigerung von Zeit und Wandel. Nichts zog lange Kreise in ihm. Verschwiegenheit war seine Tugend. Er ruhte still in sich selbst, einer abgeschottete Welt aus Vergangenheit, die für niemanden greifbar wurde.
Vielleicht wählte ich deshalb diesen Ort. Von dem Moment an, als ich zum ersten Mal sein kaltes Wasser mit meinen Fingern berührte, wusste ich, dass es meinen Durst stillen würde. Es war früher Nachmittag gewesen, still und regungslos lag er da und verschluckte stumm den Stein mit der Schnur, mit dem ich testete, ob er auch tief genug sei. Er ist unergründlich!
Ich legte mich ins Gras und hörte das Land mit den Bäumen flüstern, während ich wartete. Es war so friedlich, ich war zufrieden, im reinen mit meiner Umwelt. Die Wolkendecke war so dicht, dass ich dem Verlauf der Sonne kaum folgen konnte. Manchmal konnte man sie ausmachen, eine schwache, klare Scheibe, nicht viel heller, als der Mond. Über allem lag ein diffuses Hell, ohne Ambitionen.
Dann kam endlich die Nacht und mit ihr die Dunkelheit. Jemand hat einmal gesagt, egal wie schnell das Licht auch reist, sie war immer schon da. In ihr wachsen Babys, fürchten sich Kinder, lieben sich Erwachsene und liegen die Toten. Jeder, der es wagt und sich nicht in Menschenmassen und Krach zu betäuben sucht, kann in ihrer Stille und Verschwiegenheit Geborgenheit finden. Für mich sollte diese Nacht kein Ende haben. Ob ich meine Augen schloss, oder mit klarem Blick auf diese Welt von ihr verschwand, war unerheblich, denn sie war schwarz und still, was ich auch tat. Diese Nacht wischte die Grenze beiseite, als sei sie nur ein flüchtiger Traum, in Vergessenheit geraten, noch bevor man aus ihm ganz erwachte. Im Verborgenen brach ich die Spielregeln des Lebens und ließ mich in eine undurchdringliche Dunkelheit fallen. Trank reine, statte Ewigkeit, bis nichts mehr zu wünschen blieb. Als der Sumpf mich umfing, mich in seine Arme nahm und sachte hielt, da wusste ich, ich konnte ihm vertrauen. Er würde mein Geheimnis hüten. Er würde mich nie verraten und auch nicht preisgeben. Es war, als würde ich endlich nach Hause kommen.

2 Geister

Sie trank viel.
Aber sie war keine Alkoholikerin,
denn sie trank nie alleine.
Ein Salamander mit blauen Haaren war ihr Gefährte.
Sein Lachen war ansteckend, seine Polemiken gefürchtet. Er schien nie still zu halten, redete ununterbrochen, ließ seinen Verstand die wildesten Funken sprühen, tanzte mit ihr die Nächte durch. Mit ihm war denken ein leichter Spaziergang zwischen den Dimensionen, eine Reise ohne Anfang und Ende und nur zum Spaß, alles zu sehen, nirgends zu verweilen, kein Zuhause zu ersehnen keinen Alltag zu kennen
und keinen Tod.

Ohne den Jungen auf der anderen Seite, hätte sie seine Grillen nie ertragen.
er war all das, was nie wurde, was ohne den Umweg eines Seins,
direkt Erinnerung, sofort Vergangenheit wurde. Was einmal vor ihr, sonst immer hinter ihr lag, nie aber greifbar, erlebbar wurde. Er mochte kein grelles Licht, ging es lustig zu, saß er stumm dabei und sah ihr nur geduldig zu,

bis sie und der Salamander über ihre Phantastereien müde und ganz still wurden,
dann nahm er sie in den Arm und denken wurde schwer und drehte sich im Kreis.

Und dabei trank sie viel.
Aber sie war keine Alkoholikerin,
denn sie trank nie alleine…

seltsame, kleine Dinge

Dies soll ein literarischer Blog sein, für all die seltsamen, kleinen Dinge, die mir durch den Kopf spuken. Sie bleiben stumm für Jahre und dann flammen sie kurz auf und tanzen über das stille Wasser, wie Irrlichter.
Sie brennen und verschwinden wieder.
Das hier ist ihr Geisterhaus. Es wirkt etwas melancholisch vom Ufer aus betrachtet und ich weiß nicht recht, was hinter seinen dunklen Fensterhöhlen haust. Vielleicht brennt es bald ab, aber vielleicht ist es auch eines jener Spukhäuser, die sich beständig weiter bauen. Sicher kann man nur sagen, dass es an Halloween gebaut wurde.
Vielleicht auf einem ehemaligen Friedhof.

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