Geisterhaus

seltsame, kleine Dinge...

Tag: Tod

Nebel am Eisernen Steg 2/2

Es gibt wenig Farbe in diesen Stunden, aber es gibt sie wenigstens. Das Gras ist grün, ich sehe es, wenn ich darauf gehe, aber es vergeht so schnell und vermischt sich mit dem farblosen Nebel und es ist schwer, die Erinnerung daran aufrecht zu halten. Waren die Enten rostrot, oder war das nur im Bild?

Bei der Blutbuche bleibe ich beinahe zu lange. Ich zeichne ihr Bild auf den Mülleimer an der Bank davor und versuche mir vorzustellen, wie sie bei Wind aussehen würde, versuche, die Dynamik ins Bild zu bringen, gerade so, wie ich einen Sturm in Erinnerung habe. Das vermisse ich so… Luft, die über mein Gesicht streicht, über meine Arme, die kalt in meinen Lungen ist, warm und stickig, oder nach Blüten duftet, nach der nassen Straße, nach Menschenmassen. Atmen! Atmen wäre so herrlich!

Ich kann es mir nicht gut genug vorstellen, irgendetwas fehlt in meinem Bild, ich weiß, es ist noch nicht richtig, aber ich muss weiter.

Ich gehe halb getrieben, halb gezogen, pflücke etwas Gras von dem schmalen Grünstreifen und schüttele den Tau davon ab. Wie schön die Welt ist, habe ich früher nicht wahrhaben wollen und jetzt gibt es nicht genügend Flächen, um alle Bilder aufzunehmen, die ich malen möchte. Malen muss?

Und dann erreiche ich die Fußgängerbrücke.

Hier ist noch kein Nebel, ich könnte ans andere Ufer laufen, das im Dunkeln liegt und ich renne auch, aber nur bis zur Hälfte, dann stoppe ich, beuge mich nach vorne und stütze meine Hände gegen die Oberschenkel, als wäre ich außer Atem – bin ich irgendwie ja auch… Ich sehe zur anderen Seite. Steht da jemand und schaut zu mir herüber?

Ich wende mich ab, weiter möchte ich nicht. Ich bin noch nie hinüber gelaufen. Es ist vielleicht albern: Ich glaube, von dort führt kein Weg zurück und ich bin mir nicht sicher, ob es mir dort gefallen würde.

Stattdessen trete ich an das Geländer, an dem gewissermaßen meine inspirierte Phase ihren Anfang nahm. Ich schau hinunter und hör das Wasser locken. Immer noch, nach dem ich ihm so viel gegeben habe… Ich muss bald zurück.

War es falsch damals? Natürlich hätte ich dem Wasser nicht nachgeben sollen. Ich hätte weghören können, mir Hilfe suchen. Einfach weiter atmen.

Das leichteste von der Welt…

Die Brückenträger rechts und links von mir zeugen von den Spuren, die ich bei jedem Spaziergang hier hinterlasse. Sie machen sie weg, aber ich mal einfach ein neues Bild. Immer tiefer dringt der Rost. Nimmt mich jemand wahr? Sieht jemand die kitschigen Zeichnungen des Mainufers, oder die dramatischeren eines Schattens, der sich in die Fluten stürzt? Oder reiße ich irgendwann Löcher in den Träger und sie werden es Materialermüdung nennen?

Der Nebel rückt näher, er hat mich an meinem Platz am Geländer längst eingeschlossen. Dann verschwindet meine Aussicht, kurz nachdem ich mit meinen Fingern die letzten Linien gezogen habe. Ich vermisse jetzt schon die Farben. Jetzt sind nur noch ich und mein Bild auf dem Geländer da. Es zeigt das Letzte, was ich sah. Ob den letzten Ausblick gerade eben, oder von damals kann ich jetzt schon nicht mehr sagen. Was mache ich hier? Ich weiß es nicht. Vielleicht bin ich hier, weil ich es nicht weiß? Ist es Lehre? Belohnung? Bestrafung?

Ich weiß es nicht, ich weiß nichts mehr. Das Grau verwischt alles und von ihm verschlungen zu werden ist wie früher schlafen war, oder sich sterben ganz kurz anfühlte. Es zieht mich zurück ins Wasser und die Welt zerfließt mit dem Aufstieg der Sonne. Die Stadt erwacht und ich falle in einen Dämmerschlaf, warte auf das nächste Mal. Wenn die Welt wieder stillsteht und ich im Nebel wandern kann.

Nebel am Eisernen Steg 1/2

Das Wasser des Mains fließt so gemächlich, dass es fast zu stehen scheint. Es gleitet vorbei ohne großen Sinn für seine hektische Umgebung. Es hat etwas Hypnotisches in seinem zähen Lauf und als ich zum ersten Mal von der Brüstung aus auf es hinunter starrte, schien es mir, als würde es meinen Blick erwidern. Als rief es nach mir.

Die Stadt an seinem Ufer ist anders. Sie hat nie etwas von mir erwartet. Sie ist auch nie ruhig und still, aber es gibt da diese bestimmten, seltenen Momente, wenn mit der Dämmerung der Nebel aus dem Wasser kriecht und seine Wanderung über das Ufer beginnt. Es ist, als würde der Rest der Welt kurz stillstehen und der Nebel zieht wie durch ein Bild.

Es treibt mich mit auf diesen Spaziergang, ich kann gar nicht anders. Die Luft ist kalt und klamm, es ist fast, wie noch im Wasser zu sein, nur das die Welt hier steht und nicht zerfließt wie dort.

Ich sehe die Nilenten neben einer Baustelle schlafen. Ein einzelner Schwan unter ihnen. Im Hintergrund eine verwunschene Insel. Sie ragt kaum aus dem Nebel hervor. Meine Füße stoßen gegen ein umgekipptes Baustellenschild. Es liegt verkehrt herum und hat eine silberne Rückseite. Den Blick nicht von der Szenerie wendend gehe ich in die Hocke. Ich habe Angst, dass die Enten, der Schwan und die Insel einfach verschwinden könnten, wenn ich den Blick abwende. Aber ich muss, sonst kann ich es nicht tun! Ich muss kurz auf das Schild sehen, sonst wird es nicht gut…

Ich habe früher nicht gemalt. Ich weiß nicht warum, es ist mir einfach nie in den Sinn gekommen. Das mache ich erst, seit alles so ist, wie es jetzt ist und ich nichts berühren kann, ohne es unter meinen Fingern zu verändern. Zuerst habe ich es für einen Fluch gehalten, ein Mahl der Vergänglichkeit, das ich überall hinterlasse, als Strafe für das, was ich mir angetan habe. Ich würde nicht sagen, dass ich heute einen Sinn darin gefunden habe, aber ich mache damit etwas. Etwas… Schönes…

Meine klammen Finger hinterlassen kleine Rostblumen auf der silbernen Oberfläche. Ich habe nicht viel Zeit über das Motiv nachzudenken, jeder Zug muss sitzen. Ich skizziere das Ufer, die Vögel, die Äste, die gespenstisch aus dem Grau des Nebels ragen, wie jetzt der Rost aus dem Grau des Schildes.

Der Nebel zieht enger, die Szenerie verschwindet und er treibt mich weiter, aber ich sehe noch einmal herunter auf mein Bild aus Rost und es ist gut, ich hab einfangen können, was ich sehen durfte. Es verschwindet im Grau. Wenn ich nicht weiter gehe, dann endet mein Spaziergang hier. Man muss mit dem Nebel Schritt halten.

Der Mond – Ein Märchen

In einem weit entfernten Land, wanderte einst ein Zauberer. Sein Herz war schwarz von Trauer, in seinem Arm lag in einem sorgfältigen Bündel seine tote Tochter, die niemals einen Blick auf diese Welt hatte werfen können. Es war genauso Nacht gewesen, wie bei jedem anderen Kind davor. Von der Dunkelheit des Mutterleibs, über den schlecht beleuchteten Planwagen unter die feuchte Erde. Kein Licht fiel je auf seine Kinder, nicht einmal die Reflexion des Mondes. Es waren winzige, farblose Leiber, denen er in der Dunkelheit ‚Adieu‘ sagte, so lebendig wie die Felsen um ihn herum und dieses Mal fühlte er wie etwas in ihm brach, wie etwas vor Belastung, vor Müdigkeit und andauernder Qual nachgab.
Da trat ein Wolfshund aus dem Dickicht, ihn zu begleiten.
„Fürchte dich nicht und hab Vertrauen. Was dir auch immer hier widerfährt, es hat doch Sinn. Kannst du ihn auch im Moment nicht fassen, so gibt es doch jemanden, der deine Schritte lenkt, der etwas mit dir vorhat. Nichts geschieht Grundlos.“
„Ein solches Vertrauen in seinen Herrn steht dem Hund. Sie vertrauen ihm noch, während sie erschlagen werden. Aber was für einen Herrn haben die Menschen?“, erwiderte der Zauberer.
Es konnte nicht richtig sein, dass ein Kind starb, ohne einen einzigen Blick auf diese Welt, ein einziges Mal Luft geschmeckt zu haben. Früher hatte er an Kontraste geglaubt, dass die Realität zu gleichen Teilen aus Licht und Schatten gebildet sei. Leben und Tod, so hieß es, müssen die Welt gemeinsam gestalten. Leiden gebärt Glück und umgekehrt und er war immer bereit gewesen, klaglos all die schlechten Zeiten mit seiner Frau an seiner Seite zu ertragen, denn sie sagten, auf eine dunkle Nacht, folgt auch wieder ein Tag und auf einen Tag, muss die Nacht folgen und als Zeichen, dass sie immer auch wieder weichen würde, galt der Mond, denn sein Licht kommt in Wahrheit von der Sonne. Aber aus einem lange gehegten Zweifel wurde jetzt die Gewissheit, dass dieses Gleichgewicht eine Lüge war. Ein Betrug an ihm und seiner geliebten Frau, deren Nacht ewig war.
Er jagte den Hund von sich.
Da trat ein Schakal aus dem Dickicht, ihn zu begleiten.
„Es stimmt, du bist niemandes Knecht. Der Mensch schafft selbst die Regeln, nach denen es ihm zu leben beliebt. Und du bist ein Magier. Ihr Tod muss keine Bedeutung haben!“
„Es ist wahr.“, sprach der Zauberer, „Ich könnte ihr wieder Leben einhauchen. Aber es ist nicht erlaubt.“
„Was scheren dich Verbote einer Welt, die Falsch ist?“
„Nichts, Schakal.“, sprach der Zauberer, „Aber es wäre nicht zum Wohl meiner Tochter. Es gibt keinen Weg sie zurück zu holen, jedenfalls nicht ganz. Sie wäre nur ein Schatten. Was wäre ich für ein Vater? Geh!“
Und der Schakal blieb zurück.
Er erreichte den Fluss und kniete an seinem Ufer nieder. Das Wasser war Tief und Dunkel und ihr Grab.
Es gab niemanden zur Verantwortung zu ziehen. Von Niemandem konnte er eine Erklärung verlangen oder gar Vergeltung. Aber auch keine Versöhnung, kein Vertrauen, keine Akzeptanz. Sowenig wie Protest, Auflehnung, Rebellion. Es gab Nichts.
Und dann hatte er eine Welt satt, die keine Hoffnung, keine Wunder zuließ, sondern nur endlosen Abschied, noch vor dem ersten ‚Hallo‘. All das Schöne durfte hier nur trügerische Illusion sein. Magie war ein billiger Trick auf seiner Bühne, wenn er seine Frau vor aller Augen verschwinden ließ und er hatte es satt, ein Lügner zu sein.
Da zog eine Krabbe langsam die Uferböschung entlang.
„Es gibt noch einen Weg, Zauberer.“, begann sie, „Du konntest nie Zeit mit ihr verbringen, aber die Ewigkeit gehört euch. Lass deine Tochter nicht allein hier in der Kälte und der Dunkelheit. Leg dich mit ihr zur Ruhe. Du siehst so müde aus und hast du nicht genug gesehen? Kann deine Wanderung hier nicht ein schönes Ende finden?“
Der Zauberer sah in die Dunkelheit einer Neumondnacht. Vor dem Licht war die Dunkelheit gewesen. Nein, Licht war eine Illusion, nur die Dunkelheit echt. Die Nacht war alles, ins Wasser zu steigen, fühlte sich an, wie einer lang verlorenen Heimat näher zu kommen. Er glaubte nicht mehr an das Gleichgewicht, er wusste nicht mehr, was er glauben sollte. Es wollte es zufrieden sein, wenn es dunkel blieb und Still wurde.
Aber auch das durfte nicht sein. Die Welt hatte sich nicht nur gegen ihn verschworen, auch gegen seine Frau. Unmöglich sie allein in der Dunkelheit zu lassen.
Er tauchte wieder auf, vertrieb die Krabbe, die ihm vom Ufer aus zugeguckt hatte und blieb erschöpft dort liegen. Starrte in diese lichtlose Nacht.
Der Mond war ein Blender! dachte er plötzlich.
Wieso war dieser taube Felsen überhaupt dort oben? Welchen Zweck hat es, dem Tag seine schönen und seine dunklen Stunden zu geben, welchen Sinn hat das Rotieren der Erde, das für den Winter, aber eben auch für den Sommer sorgt? Alles scheint so gerecht geordnet. All diese Gesetzte… Welchen Sinn haben sie, wenn sie uns übersehen, wenn wir nur die Nacht bekommen? Warum, ist er da oben und schickt uns das Licht der Sonne, dass wir nie erhaschen dürfen?
Als er sprach, war unklar zu wem. Vielleicht ahnte er, dass der Hund und der Schakal und auch die Krabbe noch in der Nähe waren und leise auf seine Entscheidung horchten, vielleicht dachte er auch nicht daran und ließ seine Stimme in einer seelenlosen Welt verhallen:
„Stell dir vor, der Mond würde nach Neumond nicht wieder erscheinen. Stell dir vor, all die Regelmäßigkeiten des Lebens, all das auf und ab, Nacht und Tag, Sommer und Winter, Leben und Tod, würden in Frage gestellt, so wie der Tod das Leben im Schoß meiner Frau in Frage stellt, immer und immer wieder? Stell dir vor, der Mond würde fort bleiben und die Nacht wäre wirklich schwarz. Stell dir vor, nur für einen einzigen Moment, wären die Gesetzte zu brechen, die uns auferlegt sind und wir wären, für diesen einen Augenblick, wirklich frei…“
Er ballte die Fäuste im feuchten Ufergras und wusste endlich, was er tun würde. Der Mond würde endlich sein Versprechen einlösen und er, der Zauberer, wäre kein Lügner mehr.

„Und dann?“, Maro starrte seine Mutter ungläubig an, die sich zurück lehnte, als wäre alles erzählt.
„Mehr weiß man nicht. Der Zauberer verschwand und die Tiere konnten ihm nicht folgen. Aber nach Neumond blieb der Mond verschwunden.“
Maro verzog das Gesicht über das unbefriedigende Ende.
„Du siehst“, setzte seine Mutter neu an, „dass der Mond nicht mehr zu sehen ist, ist nicht traurig. Es bedeutet, dass nichts unmöglich ist für uns Menschen, auch wenn die Welt manchmal voller Grenzen scheint. Wir überwinden sie.“
„Was hat der Zauberer mit dem Mond gemacht?“
Sie strich ihm über sein Aschblondes Haar.
„Das weiß nur er und vielleicht noch seine Frau. Vielleicht hat er ihn ja behalten, ihr zum Geschenk gemacht. Vielleicht kümmern sie sich um ihn anstelle eines eigenen Kindes?“
„Das wär ja eine komische Familie!“, lachte Maro.
„Ja, das wäre sie.“
Sie küsste ihm die Stirn und deckte ihn zu.
Als sie das Licht ausmachte, kam ihr Mann leise heran. Gemeinsam betrachteten sie den Jungen im Schlaf. Seine Haut war so weiß, dass sie im Dunkeln leicht zu schimmern schien. Ein Geheimnis, dass sie sicher zwischen sich verwahrten.

Der Sumpf 3/3

Seit der Regen im Herbst trommelte denke ich ans Tanzen. Der Sommer kommt, es wird so heiß und die Luft steht auf dem Wasser. Ich dachte, es würde wie der Winter sein, wir würden uns tief verkriechen und warten. Aber im Gegenteil es treibt selbst ihn hinaus aus seinem Wasser. Er zieht sich klamm die Bäume empor und bald schwebt sein Geist über dem Wasser, wie auch darin.
In der Nacht traue auch ich mich heraus.
Meine Gestalt scheint zu glühen. Zu schwach, die Welt zu erhellen, aber wozu sollte ich auch? Der Schein bringt Unruhe. Unruhe, wie sie nur die stillsten Seelen empfinden können. Auch er spürt es, ich weiß es. Dann beginnt leichter Regen zu fallen. Ich bin unschlüssig, aber dann lasse ich mich vom Regen in den Tanz ziehen und plötzlich war da die Erinnerung, an etwas von früher… An Wein und Fieber. Der Wind sang. Ein Sturm war auf dem Weg. Der Regen verbrannte sich seine Finger, wenn er mir zu nahe kam, aber er konnte es nicht lassen, so wie ich nicht das tanzen ließ. So trommelte er zum Gesang des Windes und dem Rauschen der Bäume und ich sprang über das Wasser in meinem glühenden, grünen Kleid. Reckte mich dem Himmel entgegen, der angetan war mit dem Wasser des Sumpfes, wie meine Ruhestätte tief unter mir. Und wie ich sprang und immer heller leuchtete, da wusste ich, dass der gleiche Junge, den ich geküsst hatte (oder auch nicht) unsere Feier beobachtete, irgendwo dort jenseits des Ufers und es nicht wagte, näher heran zu kommen, obwohl es ihn hierher zog.
Und ich wusste, was er wusste, was auch der Sumpf wusste. Dies war mein letzter Tanz. Der letzte Schritt des Weges, den ich begonnen hatte, als ich zu ihm ins Wasser trat. Von der Welt in die Heimat und schließlich zurück in die Welt. Mein kurzes, zweites Leben an der Oberfläche.
Und ich erkenne, dass ich mein Spiegelbild nicht verloren habe. Da ist es, direkt unter mir. Mein wahres Abbild.
Nein, der Sumpf spiegelt nicht die Metropolen wieder. Er ist kein Freund der Städte, der Menschenmassen. Aber wen er zu sich vordringen lässt, wer es schafft, die Schönheit in der Dunkelheit zu finden, der kann sich in ihm spiegeln, dessen Schein gibt er wieder und all die dunklen Seiten deiner selbst, die verschweigt er in Ewigkeit.
Wie es ein wahrer Freund tun sollte.

Der Sumpf 1/3

Es gibt einen Sumpf, nahe genug an der Kölner Bucht, um durch das gleiche Wasser beseelt zu sein, wie der große Rhein. Jedoch fehlt ihm seine verführerische Weltgewandtheit, diese Sicherheit des Kosmopolit… doch was ihm an Weite, an ungestümer Reiselust fehlt, ersetzt er durch eine unauslotbare Tiefe und stille Beständigkeit. Man wartete vergeblich darauf, in ihm das Licht der Metropolen gespiegelt zu sehen, verzerrt, doch immer noch lebendig und schön. Er gab nur das fahle Licht des Mondes, das tote Licht der Sterne wieder. Es drang tief in ihn ein und verlor sich Nacht für Nacht in seiner dunklen Seele, ohne den Grund je zu berühren.
Nein, er bereiste nie die Welt, sein Wasser stand geradezu still, wie eine Verweigerung von Zeit und Wandel. Nichts zog lange Kreise in ihm. Verschwiegenheit war seine Tugend. Er ruhte still in sich selbst, einer abgeschottete Welt aus Vergangenheit, die für niemanden greifbar wurde.
Vielleicht wählte ich deshalb diesen Ort. Von dem Moment an, als ich zum ersten Mal sein kaltes Wasser mit meinen Fingern berührte, wusste ich, dass es meinen Durst stillen würde. Es war früher Nachmittag gewesen, still und regungslos lag er da und verschluckte stumm den Stein mit der Schnur, mit dem ich testete, ob er auch tief genug sei. Er ist unergründlich!
Ich legte mich ins Gras und hörte das Land mit den Bäumen flüstern, während ich wartete. Es war so friedlich, ich war zufrieden, im reinen mit meiner Umwelt. Die Wolkendecke war so dicht, dass ich dem Verlauf der Sonne kaum folgen konnte. Manchmal konnte man sie ausmachen, eine schwache, klare Scheibe, nicht viel heller, als der Mond. Über allem lag ein diffuses Hell, ohne Ambitionen.
Dann kam endlich die Nacht und mit ihr die Dunkelheit. Jemand hat einmal gesagt, egal wie schnell das Licht auch reist, sie war immer schon da. In ihr wachsen Babys, fürchten sich Kinder, lieben sich Erwachsene und liegen die Toten. Jeder, der es wagt und sich nicht in Menschenmassen und Krach zu betäuben sucht, kann in ihrer Stille und Verschwiegenheit Geborgenheit finden. Für mich sollte diese Nacht kein Ende haben. Ob ich meine Augen schloss, oder mit klarem Blick auf diese Welt von ihr verschwand, war unerheblich, denn sie war schwarz und still, was ich auch tat. Diese Nacht wischte die Grenze beiseite, als sei sie nur ein flüchtiger Traum, in Vergessenheit geraten, noch bevor man aus ihm ganz erwachte. Im Verborgenen brach ich die Spielregeln des Lebens und ließ mich in eine undurchdringliche Dunkelheit fallen. Trank reine, statte Ewigkeit, bis nichts mehr zu wünschen blieb. Als der Sumpf mich umfing, mich in seine Arme nahm und sachte hielt, da wusste ich, ich konnte ihm vertrauen. Er würde mein Geheimnis hüten. Er würde mich nie verraten und auch nicht preisgeben. Es war, als würde ich endlich nach Hause kommen.

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