Egal wie absolut die Dunkelheit vor deinen Augen erscheint, hast du dich an sie gewöhnt, wirst du sie durchdringen.
Ich bin immer noch hier…
Ich nehme meinen Körper wahr in dieser Tiefe. Gehalten von ihm, davor bewahrt, allein im Nichts zu schweben. In seiner zärtlichen Umarmung, in seinen wunderschönen Augen, möchte ich vergehen. Schicht um Schicht meiner vergangenen Existenz wird so langsam und behutsam durch ihn abgelöst und im gleichen Maße, wie er Millimeter um Millimeter fortschreitet und sich meinem eigenen, so lange schon versteckten, dunklen Kern nähert, werde ich leichter. Was mich bedrückte, fällt von mir genauso ab, wie das Fleisch von meinem Körper, verflüchtigt sich, als wären all die schlimmen Zeiten zur schwarzen Flüssigkeit zersetzt, die dort langsam von meinem Körper wegtreibt und sich in meinem Beschützer und Hüter endgültig auflöst.
Ich stelle mir vor, dass es sich genau so anfühlen muss, selbst für den geschäftigen, ruhelosen Rhein: So ist es, seine Bestimmung zu finden. Das Meer zu erreichen. Wenn das eigene Ende ohne Angst, ohne Wut oder Enttäuschung den Einzelnen erreicht, weil er sich längst im Gegenüber erkannte und nur in eine höhere Einheit aufgeht. Gleiches, sich endlich in Gleiches auflöst.
Der Rhein hat das Meer und ich die geheimnisvollen, tröstenden Augen meines stillen Beschützers.
Mein Körper, einst prächtiger Tempel einer unbekannten Gottheit, wird zur vergessenen Ruine, ein Haufen bedeutungsloser Trümmer. Ich erkenne mich in ihnen nicht mehr, mein Spiegelbild, sogar mein Name ist weggespült. Und ich bin endlich frei.
Auf meinen wahren Kern zusammen geschrumpft bin ich so leicht. Befreit von all dem Ballast scheint die Welt hier bei mir, wie auch die Welt dort über mir so voller Schönheit, so klarer als zuvor. Ich höre dem Wind zu, wie am ersten Tag, aber erst jetzt verstehe ich, was er singt, erst jetzt will ich ihm antworten! Ich recke mich im Nebel den Bäumen entgegen und zupfe an den Blättern der Trauerweide, um sie zum Lachen zu bringen. Sie tut es dann auch wirklich. Im Herbst begrüßte ich den Heim kehrenden Regen, die Geschichten, die er zu erzählen hat sind voller Fernweh und künden vom Fliegen. Ich verziere den Winter mit Eisblumen, solang ich kann, aber letztendlich muss ich doch einschlafen, wie alles um mich her. Ich suche die Umarmung meines schweigsamen Beschützers und lausche der Stille. Im Tau des Frühlings dann, traue ich mich aufs Ufer hoch und küsse heimlich die Wange eines Jungen, der sich hier ausruht. Aber dann bin ich nicht sicher, ob ich das nicht nur träumte, während ich ihn aus dem Schilf beobachtete. Hätt ich das nur getan, als ich noch Lippen hatte.
Hätte ich getanzt, als ich noch einen Körper hatte.